Arbeitsstelle Pädagogische Lesungen

Transfer - Von Lehrkräften für Lehrkräfte

Von Lehrkräften für Lehrkräfte Von Lehrkräften für Lehrkräfte – die Pädagogischen Lesungen als Modell einer aktuellen Professionalisierungsmaßnahme in der 3. Lehrer*innenbildungsphase

Im Rahmen eines Promotionsprojektes (Qualitätsoffensive Lehrerbildung) wird an der Universität Rostock derzeit eine Professionalisierungsmaßnahme entwickelt, die den Fokus auf den Austausch positiver Unterrichtserfahrungen – sogenannter Best-Practice – richtet.

Der historische Hintergrund

Als (streng zu reflektierendes) Modell für diese Herangehensweise dienen die Pädagogischen Lesungen – eine institutionalisierte Form der Weiterbildung in der DDR. Lehrkräfte bereiteten hier gute Unterrichtserfahrungen so auf, dass andere davon profitieren konnten. Sie beschrieben nicht nur eigenes unterrichtliches Handeln, sondern auch pädagogische Prozesse. Die zunächst schriftlichen Ausarbeitungen wurden oft von Fachberater*innen betreut. Lag ein fertiger Text vor (in der Regel 30 bis 50 Seiten lang), durchlief er einen zentralen und hierarchischen Begutachtungsprozess. Autor*Innen erfolgreich begutachteter Lesungen erhielten daraufhin die Möglichkeit, ihre Arbeiten (bzw. Lesungen) auf den Zentralen Tagen der Pädagogischen Lesungen vorzustellen. Darüber hinaus gab es auf Bezirks- oder Kreisebene regionale Veranstaltungen, auf denen die niedergeschriebenen Best Practice in Form von Vorträgen präsentiert wurden.  In der Summe gelang so ein in mehrfacher Hinsicht flächendeckender Erfahrungsaustausch (Koch, Koebe, von Brand & Plessow, 2019).

Für die aktuelle Lehrer*innenforschung stellt sich die Frage, inwiefern dieses Konzept eines strukturierten Erfahrungsaustausches für die heutige Lehrerbildung relevant ist.

Der Grundgedanke

Eine Grundidee der hier entwickelten Professionalisierungsmaßnahme Fortbildung zum kollegialen Erfahrungsaustausch besteht darin, dass die in der Praxis vorhandenen Erfahrungen anderen Lehrkräften helfen können, pädagogische bzw. didaktische Probleme anzugehen. Die Inhalte der neu entwickelten Fortbildung stammen somit von den Lehrkräften selbst und richten sich wiederum an deren unmittelbaren oder weiteren Kolleg*innenkreis. In diesem Sinne reiht sich diese Fortbildung konzeptionell neben gegenwärtigen Reflexionsmethoden wie etwa der kollegialen Supervision ein.

Abbildung 1: Schematischer Aufbau und Ablauf einer Professionalisierungsmaßnahme mittels Erfahrungsaustauschs (eigene Darstellung)

Die Theorie

Die theoretische Konzeption geht davon aus, dass das in einem Lehrerkollegium vorhandene Unterrichtswissen zur Professionalisierung der einzelnen Lehrkraft beitragen kann. Strukturell werden die zwei Ebenen der Pädagogischen Lesungen wie folgt transferiert (siehe Abbildung 1): Erstens wird in einer Schulinternen Lehrer*innenfortbildung (SchiLf) ein strukturierter Erfahrungsaustausch in einem Kollegium durchgeführt (Teil 1). Zweitens wird eine Best-Practice aus der teilnehmenden Schule als Unterrichtsvideo aufbereitet (Teil 2), sodass die in den Schulen vorhandenen Unterrichtserfahrungen schulübergreifend und zeitlich unabhängig von Lehrkräften zur eigenen Unterrichtsvorbereitung rezipiert und genutzt werden können.

 

Abbildung 2: Binnenstruktur der Professionalisierungsmaßnahme „Fortbildung zum kollegialen Erfahrungsaustausch“ (eigene Darstellung)

Das strukturierte Vorgehen

Der Erfahrungsaustausch sieht dabei vier Schritte vor (siehe Abbildung 2): Zunächst erhält das teilnehmende Kollegium die Möglichkeit, sich in Kleingruppen über die eigene Unterrichtstätigkeit auszutauschen. Im zweiten Schritt wird dann die Best Practice strukturiert aufbereitet. Dies kann in vielfältiger Form geschehen – vorrangig orientiert an didaktischen Merkmalen, beispielsweise in Form eines Steckbriefes. Die Aufbereiteten Unterrichtsmethoden und pädagogischen Handlungsweisen werden im dritten Schritt dem Kollegium vorgestellt und auf ihre etwaige Umsetzung an der eigenen Schule und mit der eigenen Schülerschaft kritisch diskutiert. Zuletzt wird eine der vorgestellten Best Practices durch das Kollegium prämiert und in Form eines Unterrichtstutorials (ca. 5 Minuten) in verallgemeinerter Form aufbereitet und schulübergreifend zur Verfügung gestellt.Bei steigender Zahl der Unterrichtstutorials ist an dieser Stelle auch die Implementierung eines schulübergreifenden Wettbewerbs guter pädagogischer Praxis möglich.

 

Abbildung 3: Posterpräsentation auf dem dritten Programmkongress der Qualitätsoffensive Lehrerbildung (überarbeitete Version)

Die Evaluation

Im Rahmen der Dissertation wird das neu entwickelte Format exemplarisch erprobt und anschließend daraufhin evaluiert, ob es gemäß des Angebots-Nutzungs-Modells der Wirkungsweise von Lehrkräftefortbildungen (Lipowsky, 2014) wirkungsvoll ist. Die Erprobung erfolgte zu Beginn des Schuljahres 2021/22 an drei Schulen zur individuellen Lebensbewältigung in Mecklenburg-Vorpommern. Erste Ergebnisse wurden auf dem dritten Programmkongress der Qualitätsoffensive Lehrerbildung im November 2021 vorgestellt.

Felix Linström felix.linstroemuni-rostockde

Institut für Sonderpädagogische Entwicklungsförderung und Rehabilitation (Betr. Prof. Dr. K. Koch)

 

 

zu den Unterrichtstutorials

Literatur:

Koch, Katja; Koebe, Kristina; von Brand, Tilman; Plessow, Oliver (2019): Sozialistische Schule zwischen Anspruch und Wirklichkeit - Die Pädagogischen Lesungen als Schatz zur Erforschung von Unterricht in der DDR. In: Schriftenreihe der Arbeitsstelle der Pädagogische Lesungen an der Universität Rostock (1).

Lipowsky, Frank (2014): Theoretische Perspektiven und empirische Befunde zur Wirksamkeit von Lehrerfort- und -weiterbildung. In: Ewald Terhart, Hedda Bennewitz und Martin Rothland (Hg.): Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Münster, New York: Waxmann, S. 511–541.